Column

Madhavi & das Leben // Nochmal Glück gehabt

29. Oktober 2020
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Ich habe wie so viele einen Netflix Account. Oder sagen wir so, wir haben einen Familien-Netflix-Account. Meine Tochter hat für jeden einen Avatar angelegt. So heiße ich „Esotante“ und mein Mann „Weird Dude“. Wenn ich also Emails von Netflix erhalte, die ich eher selten beachte, weil sie sowieso im Spam landen, steht da in etwa „Hey Esotante, wir haben ein paar neue Filmchen für dich auf Lager.“

Meine Kinder sind 13 und 15. Haben Yoga und Meditation mit der Muttermilch aufgesogen. Mein Sohn (15) wurde nicht getauft, bekam aber eine „Willkommensparty“ am 1. Geburtstag, auf der Familie und Freunde zusammenkamen, er in eine indische Kurta gestopft wurde (bitte googeln, falls kein Begriff) und wir Kundalini Yoga Mantren trällerten. Beim 2. Kind waren wir dann so müde und erschöpft, dass wir die Fete so oft verschoben haben, dass sie irgendwann in Vergessenheit geriet.

Neulich fand ich irre süße Bilder meiner Kinder kurz vor ihrer Mantra Einweihung. Sie müssen drei und fünf gewesen sein. Wie niedlich doch beide in dem Alter waren. Und wie flüssig sie Mantren singen konnten. Ich hatte große Hoffnung in die Zukunft. In Gedanken wohnten wir alle in unserer spirituellen Wohngemeinschaft, praktizierten jeden Morgen zusammen gut gelaunt unser Sadhana und aßen frisch gekochten Reis.

Gut, eine Wohngemeinschaft sind wir auch geworden. Und verstehen uns bombastisch. Doch irgendwie sind sie dann beide auf die schiefe Bahn geraten. So möchte meine Tochter Autorin werden, aber als Backup Jura studieren, falls das mit dem Schreiben nichts wird. Sicher ist sicher. Sie stellt auch für sonntags ihren Wecker auf sechs Uhr und springt täglich zur gleichen Minute unter die Dusche. Hat alles im Griff und alles durchgeplant.

Nur nicht so enden wie ich

Mein Sohn hat sich in den Kopf gesetzt, Medizin zu studieren. Es werden unendlich viele Operationsvideos geschaut und Anatomiebücher gewälzt. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Buch von Freud. Vielleicht habe ich es auch zu bunt getrieben, damals mit dem Meditieren während der Schwangerschaft. Auf jeden Fall wollen beide nicht so enden wie ich, das haben sie mir sehr deutlich klargemacht.

Ich erinnere mich an eine Situation, meine Tochter war ungefähr fünf Jahre alt. Wir lebten in Hamburg, es war nachmittags, und ich verzog mich kurz in eine Ecke zum Meditieren. Beide Kinder waren alt genug, um mal 15 Minuten allein zu bleiben. Dachte ich. Plötzlich stand meine eigentlich langhaarige Tochter mit fast abrasierten Haaren vor mir. Ich schloss kurz noch mal meine Augen, in der Hoffnung, noch in meiner Meditation festzustecken. Sie hatte exakt noch drei Haarstummel auf dem Kopf. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihr auch diese abzurasieren. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder weinen sollte. Seitdem habe ich nachmittags nicht mehr meditiert.

Mein Sohn praktiziert Kampfsport und da ist Meditation integriert, was er auch sehr mag. Aber möchte ich mal mit ihm meditieren, sagt er mir, er wäre Wissenschaftler, er glaube nicht daran. Als ich vor geraumer Zeit mit meinen Kindern eine Heilmeditation für ein Familienmitglied, das gerade im Krankenhaus lag, praktizieren wollte, schrie mich meine Tochter an, ich solle sie gefälligst in Ruhe lassen.

Mein Sohn war aber kurzzeitig bereit, nachdem ich ihm erst einmal ein schlechtes Gewissen machte. Wir saßen uns gegenüber, sangen ein Mantra, als er einen Lachkrampf bekam. Ich stürmte beleidigt aus seinem Zimmer, knallte die Tür und sang wütend allein weiter.

Vor zwei Wochen aber kam mein Sohn auf mich zu und meinte, er wolle sich nur noch gesund ernähren. Ich sprang auf und machte ihm freudenstrahlend zum Frühstück Chia Samen mit Mandelmus. Er war begeistert. Dann wünschte er sich ein makrobiotisches Gericht mit Tempeh. Meine Tochter flüsterte mir, dass ihre Freundinnen meinen Instagram Account so cool finden würden und sie doch gern mal wieder mit mir meditieren würde.

Ich glaube, beide sind trotzdem sehr froh, dass ich ihnen ihre indischen Namen an 2. Stelle gesetzt habe. Mein Sohn hat den Namen von Osho (Chandra) und meine Tochter den der Göttin der Künste (Saraswati) als Zweitnamen. In weiser Voraussicht dachte ich mir damals, dass meine Tochter als Anwältin sicher nicht wie eine Hippie-Braut (ohne indische Wurzeln) „Saraswati“ heißen möchte.

Nochmal Glück gehabt!

xxx Madhavi

Madhavi Guemoes
Madhavi Guemoes dachte mit 15, dass sie das Leben vollständig verstanden habe, um 31 Jahre später zu erkennen, dass dies schier unmöglich ist. Sie arbeitet als freie Autorin, Aromatherapeutin, Podcasterin, Bloggerin und Kundalini Yogalehrerin weltweit und ist Mutter von zwei Kindern. Madhavi praktiziert seit mehr als 30 Jahren Yoga - was aber in Wirklichkeit nichts zu bedeuten hat.
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  • Alexandra Opdenhövel
    30. Oktober 2020 at 13:06

    Feiner Humor & ein bisschen Selbstironie hilft immer – sehr lustig und sogar alles auch noch wahr, wie schön!
    Der Text zeigt wunderbar, dass wir auch in diesen Tagen daran denken sollten, dass vieles erst immer auf lange Strecke gesehen wirklich beurteilt werden kann …
    Liebe Grüße aus Köln

  • Tine
    30. Oktober 2020 at 22:36

    Ach, ist das köstlich. So schön zu sehen, wie sich die Kinder entwickeln – ganz und gar die eigene Persönlichkeit finden – und dann, in der Mitte ihres Lebens feststellen, dass sie doch irgendwie so sind, wie ihre Eltern. Und dann wieder: Glück gehabt 🙂 Herrlich übrigens, „ich bin Wissenschaftler“, mit 15. Das finde ich großartig, der Spruch hätte genauso von meinem knapp 50-jährigen Mann kommen können. Hab mich gerade unbekannter Weise in deine Familie verliebt 🙂

  • Judith
    1. November 2020 at 13:46

    Vielen Dank für deine mal humorvollen und mal tiefgründig- ernsthaften Posts!! Jeden von Dir lese ich mit großer Freude und fühle mich jedesmal inspiriert!💕🕉

  • Sandra S.
    16. November 2020 at 22:48

    Du schreibst wunderbar und ich danke dir für diese ehrlichen Worte ! Ich mag deine authentische Art …. ich wünsche dir viel Kraft und hoffe noch ganz viel von dir zu lesen
    Übrigens:
    Durch dich hab ich den Weg zum Kundalini wieder gefunden … du erklärst alles sehr offen locker und ohne Zwang … einfach toll
    Fühl dich gedrückt
    Sandra S.

  • Madhavi Guemoes
    17. November 2020 at 8:04

    Du Liebe, ich freue mich sehr, dass Du Kundalini Yoga wieder praktizierst! So eine wertvolle Technologie.

  • Melanie
    21. November 2020 at 12:20

    Herzig. Wia im richtign Lem.

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