Column

Madhavi & das Leben // Über Brüste, Freiheit und Selbstbestimmung

9. Dezember 2019
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Letzte Woche teilte mir meine Teenager-Tochter mit leicht strengem Blick mit, dass sie es angebracht fände, wenn ich einen BH tragen würde. Mir fiel die Kinnlade runter und musste lachen, denn es erinnerte mich an eine Situation, die ich vor über 20 Jahren mit meiner Mutter erlebte.

Sie war gerade 40 Jahre alt geworden, und wir waren auf dem Weg zu einem Geburtstagsessen. Meine Mutter war hochschwanger. Es war ein heißer Augusttag, sie trug ein leichtes Kleid. Während wir durch die Gegend liefen, um das Restaurant zu finden, war es mir mehr als unangenehm, dass alle auf der Straße sehen konnten, dass meine alte Mutter offensichtlich noch Sex hatte……wie peinlich!

Es gab nur eine Zeit, in der ich regelmäßig Büstenhalter getragen habe. Oder Tittenknast, wie ich es heimlich nenne. Als ich meine Kinder stillte und meine Brüste die Größe von zwei riesigen Wassermelonen annahmen, was mir kurzzeitig Angst einjagte.

Ich bin gewohnt, dass die beiden Dinger nie im Weg sind, wie beim Praktizieren von Asanas zum Beispiel. Ich bin gesegnet mit zwei Handvoll Brüsten, die ich zum Glück niemals in ein Bustier quetschen muss. Natürlich gibt es Ausnahmen, beim Joggen, wozu ich mich dreimal im Jahr zwinge, oder zur dynamischen Meditation von Osho. Auf und ab hüpfen tut nämlich ohne BH extrem weh, auch bei kleinem Busen.

Freiheitsberaubung

Ich erklärte meiner Tochter leicht aufgebracht, dass sie es nicht erleben werde, dass ich meine winzigen Brüste in etwas quetsche, das mir das Gefühl von Freiheit nimmt. Denn das ist es für mich. Reine Freiheitsberaubung. Drill. Zurücknehmen meiner Weiblichkeit. Ich muss mich für nichts an meinem Körper schämen.

Ich sagte ihr, dass sie ein freier Mensch ist und sie ihre eigene Entscheidung diesbezüglich treffen kann. Soweit ich zurückdenken kann, hat nie eine Frau in meiner Familie einen BH getragen. Nie. Warum soll man Brüste, die wunderbar von allein stehen und existieren können, in etwas packen, das überall kneift? Ich verstehe es nicht. Ich bin ja auch ohne diese sperrige Bügelhilfe nicht nackig.

Die Angst, dass sie irgendwann bis zu den Kniekehlen hängen, wenn man sie nicht stetig einsperrt, ist völlig unbegründet, das kann ich aus eigener Erfahrung sagen. Das ist sicherlich auch ein bisschen von der Größe der Brüste abhängig.

Natürlich würde ich nicht mit einem durchsichtigen Shirt durch die Gegend laufen. Aus dem Alter bin ich tatsächlich raus. Da trage ich dann einfach Bodys, eine tolle und so unglaublich praktische Erfindung, für alle, die keine Büstenhalter mögen und trotzdem mal Sichtschutz brauchen.

Zügel dich gefälligst!

Meine Mutter wurde als Teenager mal vom Unterricht verwiesen, weil sie an einem Tag keinen BH trug und dazu noch Hotpants. Da stand meine Großmutter zwei Minuten später vor dem Lehrer und schrie ihn an, dass er ihre Tochter unterrichten solle und es scheißegal wäre, was sie dabei tragen oder nicht tragen würde. Als ich als Jugendliche diese Geschichte hörte, war das für mich purer Feminismus. Denn wir Frauen haben ein Recht darauf, zu tragen, was wir wollen. Oder eben nicht wollen. Manche mögen es mit BH, manche ohne. Ich kann mit solchen Dingern schlecht atmen, fühle mich abgeschnitten von mir selbst und völlig eingeschränkt. Also weg damit.

Irgendwo las ich auch, dass das Tragen von BHs sogar ungesund sei. Ich weiß nicht, ob da etwas dran ist, aber es scheint wohl, dass Büstenhalter den Lymphfluss einschränken und dadurch der Abtransport von Giftstoffen aus den Zellen behindern. Generell sollte man BHs nur wenig tragen, schon gar nicht über Nacht.

Frauen werden häufig angegiftet, wenn sie keinen BH tragen. Vom eigenen Geschlecht. Das habe ich schon sehr oft erlebt. Dann kommen Blicke, die sagen wollen: „Zügel dich gefälligst, zieh dir was an!“ Wir sind an einem sehr, sehr veralteten Ort stehengeblieben und denken, wir sind schon so enorm fortgeschritten.

Ab und zu kommt auch ein dämlicher Spruch wie : „Ist dir kalt….?“  (oft von Frauen wohlgemerkt). Dann tue ich so, als wüsste ich nicht, worum es geht. Viele Frauen haben mir auch erzählt, dass sie keinen BH mehr tragen würden, weil sie gesehen haben, wie natürlich ich damit umgehe. Ein BH ist natürlich eine großartige Sache, wenn man wirklich einen Nutzen dafür hat. Ich habe keine Freude daran…..Ist es nicht schön, dass wir alle wählen können?

Einen Tag später stand meine Tochter morgens vor mir, es fehlte etwas. Sie sagte: „Du weisst es vielleicht nicht, aber ich höre auf das, was du sagst.“ Ich nahm sie in die Arme und flüsterte: „Willkommen im Club.“

xxx Madhavi

© Anna Wassmer

Madhavi Guemoes
Madhavi Guemoes dachte mit 15, dass sie das Leben vollständig verstanden habe, um 31 Jahre später zu erkennen, dass dies schier unmöglich ist. Sie arbeitet als freie Autorin, Aromatherapeutin, Podcasterin, Bloggerin und Kundalini Yogalehrerin weltweit und ist Mutter von zwei Kindern. Madhavi praktiziert seit mehr als 30 Jahren Yoga - was aber in Wirklichkeit nichts zu bedeuten hat.
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  • Fine
    9. Dezember 2019 at 13:32

    <3 <3 <3 schöne, weise Worte. Ich bin immer ohne BH rumgelaufen, als es dann zum Studium nach Italien ging, kam ich mir auf einmal obzön vor und musste erst ein Mal wieder lernen selbstbewusst damit umzugehen, dass man eben manchmal Brustwarzen sieht. Und das es aber keine Einladung ist und auch kein gefallen wollen, sondern einfach natürlich + bequem. Die Worte bestärken. (Jetzt bin ich nur gespannt, ob ich das im Berufsleben auch noch kann).

  • Alice
    9. Dezember 2019 at 18:15

    Darum beneide ich dich wirklich! Mit meinem großen Busen ist das leider völlig unmöglich und ich bin abends immer heilfroh, wenn ich das Ding ausziehen kann. Wenn ich es könnte, würde ich es definitiv auch machen.
    Liebe Grüße, Alice

  • Laura
    9. Dezember 2019 at 18:59

    Danke Madhavi! Ich habe mich bis vor zwei Jahren immer gezwungen einen BH zu tragen, obwohl es bei mir überhaupt nichts zu stabilisieren gibt. Wie du so schön gesagt hast, ein Leben ohne fühlt sich so viel freier an und es tut so gut auf sich selbst zu hören – und nicht auf die gesellschaftlichen Normen.

  • Isabel
    10. Dezember 2019 at 9:50

    Danke, liebe Madhabi! Deine Worte bestärken mich, weiter an meiner Entscheidung (weg mit dem Ding) festzuhalten. Es passiert mir doch noch ab und an, das ich mich irgendwie ‚ertappt‘ fühle und es mir suggeriert wird, das dies nicht angebracht ist. Aber es fühlt sich einfach so viel freier und selbstbestimmter an! <3

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