Column

Madhavi & das Leben // Es gibt so viel zu lernen!

8. Juni 2020
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Heute möchte ich über ein Thema schreiben, das sehr brenzlig ist und ich, obwohl ich mich schon immer damit beschäftige, es sehr schwierig finde, die richtigen Worte zu finden. Denn wo fange ich an? Es ist so ein weites Feld. Es aber nicht zu tun wäre falsch, weil es mich intensiv beschäftigt. Weil es uns alle beschäftigen sollte.

Viele Menschen können sich da so unglaublich gewählt ausdrücken, wissen so viel mehr als ich. Ich lerne. Jeden Tag. Aus meiner Vergangenheit. Von meinen Kindern. Meinem Mann. Der Gesellschaft.

Es geht um Rassismus

George Floyd. Ich habe mir das Video angeschaut. So etwas mache ich generell nicht. Doch ich wollte nicht wegschauen. Mit den Einzelheiten meiner Gefühle dazu möchte ich euch heute nicht belästigen. Ich war einfach nur fassungslos und bin es noch immer. Ich denke, niemand hat jemals per Kamera genau dokumentiert, wie abartig der Hass auf Schwarze in Amerika ist. Er ist überall präsent, da dürfen wir uns nichts vormachen. In den USA wird nur gerade eine Lupe draufgehalten.

Und dann sind da so viele andere, von denen es keine Filme gibt, sie aber trotzdem durch Polizeigewalt oder andere Gewalt gestorben sind. Zum Thema Polizei werde ich später noch mehr sagen. Und ich werde ein paar Geschichten erzählen.

Rassismus ist ein fester Bestandteil unserer Gesellschaft . Es ist höchste Eisenbahn, dass wir noch genauer hinschauen.

Wenn ich in Los Angeles bin, fahre ich viel Taxi. Das liegt unter anderem daran, dass ich keinen Führerschein besitze und ich durch L.A. so schlecht mit dem Fahrrad düsen kann.

Meine TaxifahrerInnen sind immer unglaublich spannend, klug und weise. Ich lerne immer etwas dazu. Viele kommen aus anderen Ländern, erhoffen sich den geheimnisvollen Durchbruch in der großen magischen Filmwelt.

Das letzte Mal fuhr mich eine wunderschöne Afro-Amerikanerin von Venice zum Flughafen. Sie war Künstlerin. Ich unterhielt mich angeregt mit ihr über Politik. Das mache ich immer, wenn ich im Taxi bin. Politik ist meine Leidenschaft, schon immer gewesen. Wahrscheinlich etwas, das man von mir so gar nicht erwartet. Aber ich beschäftige mich damit. Sehr sogar.

Wir sprachen über Rassismus und sie erzählte mir so viele unschöne Dinge. Aus ihrer Kindheit. Aus dem Hier & Jetzt. Auch dass sie häufig Fahrgäste hätte, die sofort wieder aussteigen würden, wenn sie sehen, dass sie dunkelhäutig ist. Oder sie abfällig behandeln. Mehrmals wurde sie auch schon bespuckt .

Sie plauderte auch über ihre fünf Kinder, die sie allein ernährt. Wie sie unter dem Rassismus in Amerika leiden, obwohl sie dort geboren sind. Die Taxifahrerin, sie hieß Linda, schaute mich müde an und sagte: “Das ist Amerika. Und das wird sich niemals ändern.”

Als ich in München nach einem langen Flug landete und noch ein paar Stunden bis zum nächsten hatte, gingen neben mir zwei Afro-Amerikaner, die auch mit im Flieger waren. Sie wollten weiter nach London.

Plötzlich wurden sie recht unschön mitten in der Shoppingmeile im Flughafen angehalten. Ich war nah am Geschehen dran, zückte mein Telefon, denn falls etwas geschehen sollte, hätte ich Beweise.

Das machte ich ganz intuitiv, weil die beiden Polizistinnen wirklich grob und unangenehm waren. Die beiden Jungs mussten ihre Ausweise zeigen, eine Polizistin war recht klein, stand aber da wie Hulk und bäumte sich auf. Die Hand hatte sie an ihrer Knarre. Ich dachte, herzlich willkommen zurück in Deutschland, Madhavi.

Die beiden Afro-Amerikaner waren höchstens 25 Jahre alt, und ich hatte das Gefühl, sie im kalten und rauhen Deutschland beschützen zu müssen. Plötzlich standen die beiden Polizistinnen direkt vor meiner Nase und hampelten herum wie Rumpelstilzchen.

Ich kam mir vor wie bei einem Verhör von der Stasi. Ob ich das eben aufgenommen hätte, fragte die eine und blähte sich auf. Zum Glück hatte ich das Video auch schon wieder gelöscht, weil Gott sei dank ja nichts passiert war.

Deshalb verneinte ich. Ich zitterte am ganzen Körper, lächelte, nahm meinen Koffer und verfolgte die beiden Jungs, um sie weiterhin zu beschützen. Dieses Ereignis allein ging mir schon sehr nah.

Ich schämte mich mal wieder sehr, Deutsche zu sein.

Kurz darauf war ich in Paris. Mein Rückflug ging so früh, die Bahn war im Streik, es blieb mir nichts anderes übrig, als mir ein Taxi zum Flughafen zu nehmen.

Mein Fahrer war in Afrika geboren. In Paris aufgewachsen, hatte studiert, mit Familie. Er sprach viel, nur leider kein Englisch. Ich kramte also mein Französisch aus der hintersten Ecke meines Hirns und wir unterhielten uns 40 Minuten über Politik. Sagen wir mal so, er erzählte, denn ich verstehe Französisch so viel besser als ich es spreche.

Er schwärmte davon, wie viel offener Deutschland doch Afrikanern gegenüber wäre, in Frankreich wäre es zur Zeit richtig schlimm. “Rassismus ist hier Alltag”, sagte er traurig. Auch er erzählte davon, dass Gäste nicht einsteigen würden, wenn sie erkennen, dass er dunkelhäutig ist. Auch wurde er schon von Menschen mit dem Messer bedroht, konnte jedoch entkommen.

Er erzählte mir, dass er mal eine Wohnung nicht bekommen hatte und war sich sehr sicher, dass es mit seiner Hautfarbe zu tun hatte. Er schickte seinen Freund, einen weißen Franzosen zur nächsten Besichtigung und der hatte prompt Glück und erhielt die Wohnung. Obwohl sie ja schon angeblich vergeben war.

Das höre ich übrigens sehr oft. Das Ausländer, egal welcher Abstammung, egal welchen Bildungsstandard sie besitzen, manche sind sogar hier geboren, keine Wohnung bekommen, weil sie halt nicht Deutsche oder Weiße sind.

Ich bin ja auch oft in Israel. Wenn ich zurückkomme, spüre ich immer den Ausländerhass der Beamten, die die Einreisenden während der Passkontrolle unglaublich abfällig behandeln. Manche Israelis haben dann Tränen in den Augen. Ja, es ist zum Heulen. Und wieder schäme ich mich, denn egal wo ich hinreise, ich werde immer mit offenen Armen empfangen.

Rassismus gehört nicht in diese Zeit. Sie gehört in gar keine Zeit. Wir können das besser. Niemand sollte wegen seiner Hautfarbe benachteiligt, bedroht oder gar ermordet werden. Es gibt so viel zu lernen.

Mein Mann ist indonesischer und dänischer Abstammung und hat recht dunkle Haut. Auch er hat Rassismus damals in der Schweiz hautnah in seiner Kindheit miterlebt und es ist ihm unglaublich wichtig, unsere Kinder aufzuklären und zu offenen, liebevollen Menschen zu erziehen, die Menschen jeder Herkunft willkommen heißen.

Wir haben so viele Gespräche zu Hause, die ich nicht weiter ausführen möchte. Auch wenn einige Menschen zum Thema Black Lives Matter und Rassismus allgemein vielleicht gar nichts schreiben, auf Social Media posten bedeutet das nicht, dass es sie nicht interessiert. Es gibt so viele unterschiedliche Arten damit umzugehen.

Doch wir sollten viel mehr Fragen stellen. Wie können wir bessere Menschen werden? Wie können wir weniger nur an uns denken? Uns nicht mehr über andere Menschen, Hautfarben und Religionen stellen? Wie können wir mehr an das Wohl anderer interessiert sein, ganz egal, welcher Herkunft sie sind? Ich wünsche mir mehr Neugierde. Mehr Miteinander. Fangen wir bei uns an. Erwarten wir nicht, dass andere damit starten.

Wir können den Weg gehen. Unsere Kinder, unsere Familien aufklären. Veränderung schaffen. Und lasst uns nicht mit dem Finger auf die zeigen, die es anders machen, es noch nicht können oder gar nicht daran interessiert sind.

Lasst uns ein Vorbild sein, das so strahlt, dass andere davon so inspiriert sind, dass sie gar nicht anders können, als sich mehr damit zu beschäftigen. Kein Mensch ist besser als ein anderer. Keine Hautfarbe darf mehr Rechte haben als eine andere. Wir sind nicht gleich. Aber so schön in unserer Vielfalt. Lasst sie uns umarmen, integrieren und Rassismus keine Plattform bieten.

Ich habe so Angst davor, mit meinem Text zu banal zu klingen, denn es ist wirklich schwer, alles in Worte zu fassen, denn es wird immer etwas fehlen, das ich noch sagen oder tun könnte. Das hier ist erst einmal ein Anfang. Ich lerne. Und werde nicht aufhören.

#blacklivesmatter

Madhavi

 

©  Alicia Kassebohm

Madhavi Guemoes
Madhavi Guemoes dachte mit 15, dass sie das Leben vollständig verstanden habe, um 31 Jahre später zu erkennen, dass dies schier unmöglich ist. Sie arbeitet als freie Autorin, Aromatherapeutin, Podcasterin, Bloggerin und Kundalini Yogalehrerin weltweit und ist Mutter von zwei Kindern. Madhavi praktiziert seit mehr als 30 Jahren Yoga - was aber in Wirklichkeit nichts zu bedeuten hat.
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  • Carolin
    8. Juni 2020 at 15:32

    Ach Madhavi, gut, was du da schreibst! Gar nicht banal, und ja, es ist nicht leicht, über solch‘ große, komplexe und delikate Themen wie Rassimus zu schreiben. Deine Erzählungen, dein Blick aus deiner Welt machen Mut und weiten den Geist liebevoll. Danke dafür! Und es stimmt: Über Politisches wenig bis gar nichts öffentlich zu schreiben – ich red jetzt von mir – heißt nicht, dass es einen nicht beschäftigt oder interessiert, überhaupt nicht! Ich mag mich hier lieber von Aug‘ zu Aug‘ austauschen und hatte gerade gestern tolle Gespräche mit meinem Mann und meiner Schwester, angestoßen durch einen sehr ehrlichen, auch unverdaulichen Podcast von Veit Lindau zu dem Thema. Liebe Grüße!

  • Anna
    8. Juni 2020 at 15:52

    Was für ein echter, mitfühlender Text. Wir alle müssen noch so viel lernen und vor allem darüber reden. Danke, dass du das Thema ansprichst und deine Erfahrungen teilst <3

  • Anne Spahn
    8. Juni 2020 at 18:28

    Deine Worte hätten nicht besser,mitfühlender und treffender formuliert werden können,vielen Dank für deine Worte!
    Lass uns gemeinsam eine offene ,positive ,leuchtende Haltung leben,in der Hoffnung das sie ansteckt

  • Nancy
    8. Juni 2020 at 22:22

    Danke liebe Madhavi! Das war sehr bewegend.🙏🏼

  • Carmen
    9. Juni 2020 at 9:19

    Sehr schön und offen, ehrlich und deshalb alles andere als banal, liebe Madhavi.
    Danke ❤️
    Liebe Grüße
    Carmen

  • Karina
    17. Juni 2020 at 20:52

    Ein guter Text, eine ehrliche, mitfühlende Meinung – DANKE dafür <3 und ja es gilt mehr denje MEHR einandenr aktiv zu zuhören, mehr miteinander zu reden, mehr Vorbild zu sein, mehr zusammen zu halten als Mitmenschen, füreinander da zu sein und immer wieder sich Selbst und das eigene Handeln und Denken zu hinterfragen.

  • Julia
    19. Juni 2020 at 23:09

    Sehr schöne Worte über ein so schweres und leider so aktuelles Thema. Deine Bespiele verdeutlichen leiden sehr wie präsent Rassismus und Diskriminierung immer noch sind.

  • Fine
    22. Juni 2020 at 21:08

    Wie schön, dass das Thema hier Platz haben darf!!!

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