Dalai Lama Skandal – Ich bin maximal angewidert

Der aktuelle Dalai Lama, Tenzin Gyatso, ist als spiritueller Führer und Friedensnobelpreisträger weltweit bekannt und hat einen Ruf als unbescholtener, moralischer Führer. Er kommt kindlich, unschuldig und vertrauensvoll daher, mit einem herzlichen Lächeln, dass einem warm ums Herz wird.

Wir posten sein Antlitz mit guter Absicht auf Social Media, mit Friedensbotschaften und Floskeln, die inspirieren sollen, sehen ihn als ein Beispiel für Mitgefühl, Gewaltlosigkeit und inneren Frieden. Alles das, was wir irgendwie verkörpern möchten.

Schon mehrmals wurde der Dalai Lama mit einer Reihe von Kontroversen konfrontiert, die seinem Ruf über die Jahre geschadet haben. Seine Haltung gegenüber Frauen ist staubig wie ein alter Teppich. 2019 sorgte er für Empörung, als er vorschlug, dass seine Nachfolgerin eine attraktive Frau sein sollte. Viele Menschen kritisierten seine Äußerungen als sexistisch und veraltet, und der Dalai Lama sah sich gezwungen (oder sagen wir mal eher, seine PR-Abteilung), eine Entschuldigung zu veröffentlichen.

„Lutsch meine Zunge“

Was meine Augen letzte Woche in einem Video erblicken mussten, hat mich maximal angewidert und ich habe lange überlegt, ob ich darüber schreiben soll, denn dem Dalai Lama pinkelt man nicht irgendwie ans Bein, das muss schon wohlüberlegt sein.

Dann habe ich eine kleine Umfrage auf Instagram in meinen Stories gestartet und ich bin heilfroh, dass ich mit meinen Gefühlen nicht allein bin. Es traut sich nur kaum jemand, den Mund zu öffnen und wirklich was zu sagen. Denn soweit ich sehen kann, war das Event bereits im Februar. Hallo?

Die Tatsache, dass der Dalai Lama, einer der bekanntesten spirituellen Führer der Welt, so viele Wochen mit dieser Geschichte nicht in den Schlagzeilen war, zeigt, dass wir in eine neue Ära der Verschleierung eingetreten sind. Man stelle sich mal vor, das hätte ein Hollywoodstar oder ein Politiker gemacht. Aber Pluto bringt alles ans Licht, wir sind im Wassermannzeitalter, da kann nichts vertuscht werden.

Mich hat nicht nur das Video erschüttert (bitte googelt es, ich möchte es aus mehreren Gründen hier nicht verlinken), sondern auch der Umgang der Presse mit der Situation. Aber von vorn.

Auf einem Event in Dharamsala kommt ein Junge auf den Dalai Lama zu, der wohl gerade einen Vortrag zu halten scheint, und fragt ihn, ob er ihn umarmen darf. Der Dalai Lama ist einverstanden. Der Junge geht zum Podest und möchte seine kleinen, dünnen Arme um ihn legen, doch der Dalai Lama schürzt seine Lippen, zieht das Gesicht des Jungen zu sich heran und küsst den Jungen auf die Lippen. Alle lachen und halten es für irrsinnig niedlich. Was für ein Spaß!

Es ist halt der Dalai Lama. Der Junge fühlt sich sichtlich unwohl. Danach lehnt der Dalai Lama nach vorn und legt seine Stirn auf die des Jungen, löst sich von ihm, schaut ihn an, kurze Pause, dann sagt er: “Und lutsche an meiner Zunge.” Der Dalai Lama streckt seine gespitzte Zunge heraus. Der Junge wirft sichtlich erschrocken seinen Kopf in den Nacken und wird dann, wenn man richtig hinschaut, vom Dalai Lama zu sich herangezogen. Wochen, nachdem das jetzt herausgekommen ist, gibt es eine Entschuldigung vom Dalai Lama. Und wie reagiert die Presse?

Hier ein paar Schlagzeilen aus der aktuellen Presse:

“Dalai Lama entschuldigt sich für seltsame Aufforderung”

“Dalai Lama entschuldigt sich bei kleinem Jungen“

„Geistlicher entschuldigt sich“

Kein Wort davon, wie krank diese ganze Situation ist. Kein Wort davon, dass es ein sexueller Übergriff ist. Dann das Gelächter aus dem Publikum. Niemand schützt den kleinen Jungen. Niemand sagt etwas. Alle lachen und lassen ihn gewähren. Es ist ja der Dalai Lama. Niemand traut sich, wirklich zu schreiben, was Sache ist.

Da ist ein geistliches Oberhaupt übergriffig, küsst ein Kind auf den Mund und fordert ihn auf, an seiner, mir wird ganz übel, Zunge zu lutschen. Und das vor vielen Menschen. Ich möchte nicht wissen, was vor verschlossenen Türen vor sich geht, wenn der Herr sich so schon nicht im Griff hat.

Können wir aufhören, spirituelle Führer zu romantisieren und unsere rosarote Brille abnehmen? Ich habe schon mehrmals über dieses Thema berichtet, auch im Kundalini Yoga.

Es gibt so viel Missbrauch und Übergriffe im spirituellen Bereich und in diesem Fall ist das für mich ein klarer Fall davon. Können wir das Verhalten des Dalai Lama bitte hinterfragen? Können wir aufhören, Menschen auf ein Podest zu heben?

Ob es der/die Yogalehrer:in von nebenan ist, der/die auf jedem Retreat in Griechenland eine neue Schüler:in vernascht, der Möchtegern-Guru mit weißem Rauschebart, oder der Dalai Lama, wir sollten unser Gehirn nicht am Eingang abgeben, sondern immer wieder hinterfragen und auch den Mund aufmachen, wenn Unrecht geschieht.

Es ist abscheulich.

Sollte man aufhören, jetzt buddhistische Lehren zu üben? Natürlich nicht. Ein spiritueller Lehrer:in ist immer nur ein Vermittler:in. Es ist immer wichtig, sich vernünftige und vertrauensvolle Personen zu suchen.

Was sagt ihr dazu?

Stay true, Madhavi

Foto © Norbu Gyachung 

Madhavi Guemoes

Madhavi Guemoes dachte mit 15, dass sie das Leben vollständig verstanden habe, um 31 Jahre später zu erkennen, dass dies schier unmöglich ist. Sie arbeitet als freie Autorin, Aromatherapeutin, Podcasterin, Bloggerin und Kundalini Yogalehrerin weltweit und ist Mutter von zwei Kindern. Madhavi praktiziert seit mehr als 30 Jahren Yoga - was aber in Wirklichkeit nichts zu bedeuten hat.