Seelenfutter

Adhikara – Was macht einen guten Yogaschüler aus?

16. Juli 2014

Ich habe am Samstag nach einem Jahr mal wieder Yoga unterrichtet. Und für alle, die sich jetzt fragen, ob ich Sehnsucht danach hatte: Nein. Ich bin durchaus zufrieden mit meiner Entscheidung, keinen Yogaunterricht mehr zu geben.  Es macht Spaß für jemanden einzuspringen, wenn Holland in Not ist. Doch als Lebensaufgabe? Nö.

Yogalehrer tun mir sogar manchmal ein wenig leid. Sie stopfen all ihr Erspartes in Yoga-Fortbildungen, müssen fit bleiben, gut aussehen, biegsam sein, ein halbes Medizin Studium in der Tasche haben, immer fröhlich und  der Erleuchtung schon recht nahe sein.

Warum? Damit die Schüler inspiriert sind und sich angezogen fühlen.  Heutzutage reicht es nicht, einfach nur guten Unterricht zu geben, man muss schon mehr in petto haben. Damit man auch überleben kann. Die meisten Yogalehrer arbeiten sehr hart und verdienen weniger als ein Azubi bei Lidl. Einfach vehement unterbezahlt! Der Anspruch wird immer höher. Die Bezahlung immer niedriger. Yogalehrer haben es nicht leicht. Es gibt immer mehr davon – der Druck, alles über den Körper und den Geist wissen zu müssen ist unfassbar hoch – und die Konkurrenz schläft keine Sekunde.

Und die Schüler, ja – die hoppeln von einem Lehrer zum nächsten. Konsumieren Yogaklassen wie Hella von Sinnen Schokolade. Benehmen sich teilweise wie störrische Kinder. Was heißt es eigentlich ein „guter“ Yoga-Schüler zu sein?

Erst einmal bedeutet es Bereitschaft, in die Tiefe des Seins gehen zu wollen. Körper, Geist und Seele zu erforschen und zu studieren. Man nennt das im Yoga Adhikara – die Fähigkeit lernen zu wollen. Das Ganze zu sehen und die  verschiedenen Aspekte des Yoga zu vereinen . Adhikara heißt auch Zuhören, Offenheit dem Lehrer und dem Leben entgegenzubringen und stetig bemüht zu sein, zu wachsen. Komme was wolle. Dabei geht es nicht um blinden Gehorsam.

Adhikara – Einlassen auf sich und den Lehrer

Wenn vor der Yogastunde eine Frau mich anmotzt, weil ich halt nur die Vertretungslehrerin bin und es in meinen Stunden keine Musik gibt, ist die Bereitschaft sich einzulassen so niedrig, wie die Schmerzgrenze von Boris Becker. Ein guter Schüler stimmt sich ein – auf den Moment und auf den Lehrer.

Zuhören – ein Achtsamkeitstool

Da wären wir bei meinem Lieblingsthema. Ein angenehmer Yogaschüler mit Adhikara hört gut zu. Nimmt sich auch mal zurück. Weiß, was richtig ist. Singe ich also am Anfang der Yogastunde ein OM, nervt es unwahrscheinlich, wenn ein Schüler, nachdem ich schon längst fertig gesungen habe, das Mantra noch minutenlang weitertönt. Oder lauter singt als alle anderen. Was soll das?

Keine Extrawürstel

Es gibt Schüler, die immer eine Extra Nummer einbauen müssen. Ein Chaturanga Dandasana mehr als nötig, den Kopfstand weiter halten, obwohl alle schon in der Endentspannung liegen, oder ganz groß: Wenn der Lehrer am Ende der Stunde alle Schüler schön runtergefahren hat, noch einmal ins volle Rad geht. Das ist der Moment, wo ich ganz tief durchatme und denke: Idiot – wozu mache ich das hier?

Die Vorlauten

Sie müssen während der Yogastunde immer irgendwelche Fragen in den Raum werfen, oder noch besser den Lehrer korrigieren. Hinsetzen! Sechs!

Was ich sagen möchte: Yogaschüler können einen ganz schön aus der Reserve locken. 20 verschiedene Menschen, Körper und Wehwechen unter einen Hut zu bringen ist eine Sache, diese dann auch noch erziehen zu müssen eine andere. Aber vielleicht sollte man selbst auch nur tiefer atmen und alles an sich abperlen lassen.  Adhikara – Man lernt ja nie aus. Ommmmmm.

Madhavi Guemoes
Madhavi Guemoes dachte mit 15, dass sie das Leben vollständig verstanden habe, um 31 Jahre später zu erkennen, dass dies schier unmöglich ist. Sie arbeitet als freie Autorin, Aromatherapeutin, Podcasterin, Bloggerin und Kundalini Yogalehrerin weltweit und ist Mutter von zwei Kindern. Madhavi praktiziert seit mehr als 30 Jahren Yoga - was aber in Wirklichkeit nichts zu bedeuten hat.
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  • anke
    16. Juli 2014 at 9:58

    Köstlich – wie recht Du hast. Und wieder mal super geschrieben. Schön, wie Du die Sachen auf den Punkt bringst..

  • Madhavi Guemoes
    16. Juli 2014 at 10:27

    Danke, Anke. 🙂

  • Jutta
    16. Juli 2014 at 14:24

    Ist beim Yoga wie mit vegan essen und nachhaltiger Mode: Viele machen es, weil es gerade „in“ ist und setzen sich nicht wirklich damit auseinander. Bis zum ersten „Ommmm“ noch Whats-app-Nachrichten verschicken und statt Handy aus, nur auf Vibration…könnte ja sein, dass jemand wegen der Latte-Macchiato-Verabredung noch anruft. Man (und frau) kann sich toll vor versammelter Mannschaft wichtig machen, wenn’s einem im normalen Leben eher nicht gelingt. Türen und Fenster in Yogaräumen sind ja meistens zu – es kann keiner weg. Und mit „Google“-Wissen kann man dem Yogalehrer schon mal ein bisschen CONTRA geben, oder etwa nicht 😉

  • Madhavi Guemoes
    16. Juli 2014 at 14:39

    haha, Jutta, du bist der Knaller!!!

  • Oliver
    16. Juli 2014 at 16:11

    …jeder (gute) Lehrer ist halt auch immer Schüler. Du sagst es am Ende deines Textes ja selbst: „Aber vielleicht sollte man selbst auch nur tiefer atmen und alles an sich abperlen lassen. Adhikara – Man lernt ja nie aus“ Genau so ist das, wobei mitfühlen vielleicht noch besser ist als abperlen lassen 😉 Und aus dieser Perspektive findest du auch bei noch so herausfordernden Schülern deine Gelassenheit bestimmt viel leichter wieder, sollte sie dir zwischenzeitlich irgendwo verloren gegangen sein 😉 Danke für den schönen Artikel! Namasté, Oliver

  • Anna
    16. Juli 2014 at 18:18

    Liebe Madhavi, ich lese sehr gerne deinen Blog und du inspirierst mich immer wieder auf’s Neue. Aber bei diesem Thema bin ich einer anderen Meinung. Ich glaube, Du nimmst das Ganze zu persönlich 🙂 Oder unterrichtest schon so lange, dass Du es vergessen hast wie das ist eine Schülerin zu sein 🙂
    Ich unterrichte Yoga seit einem Jahr und kann mich noch genau an die Zeit als „Schülerin“ erinnern. Ich habe mit Sicherheit auch etwas lauter gesungen oder ein Rad extra gemacht 🙂 Aber nicht um den Lehrer zu ärgern, ihn etwas zu beweisen oä., sondern weil mein Körper danach verlangt hat. Wie wollen doch den Schüler vermitteln, dass sie auf ihre eigene Stimme hören… Und wenn sie das tun, dann ist es doch nicht weiter schlimm oder?! Mich als Lehrerin stört das jedenfalls nicht… 🙂

  • Madhavi Guemoes
    16. Juli 2014 at 20:03

    Ich bin ja gar keine Lehrerin mehr, deshalb kann ich ja auch lustig und überspitzt darüber schreiben. Persönlich nehme ich das sicher nicht, dafür habe ich lang genug genug unterrichtet 🙂 Schade, dass Du meinen Humor nicht verstanden hast. 😉

  • Daniela Holm
    16. Juli 2014 at 23:15

    Liebe Madhavi, weißt du was der von mir sehr, sehr geliebter Ross Rayburn uns erzählte, als wir ihn fragten, was es auf sich hat mit dem „alle Menschen lieben und geduldig sein und so“, wenn es doch so viele sehr schwierige Menschen im Leben und so natürlich auch im Studio gibt, mit denen man sich auseinandersetzen muss?
    Er erzählte, dass er in jedem Flugzeug mit dem er fliegt – und er fliegt, glaube ich, wirklich sehr oft – das Schicksal ihm einen unerträglichen Menschen neben ihn setzt. Und wenn er glaubt, es nicht mehr aushalten zu können, dankt er in Gedanken dem Schicksal dafür, dass er nun wieder eine „Chance“ bekommen hat, noch geduldiger zu werden… und trotzdem ist es zum verrückt werden!

    Hihihiiiiiiii… wir haben so gelacht!

    Doch, nun zum anderen Aspekt deines so wahren Textes: der große Traum Yogalehrer zu sein und anderen Menschen auf so leichte unmedizinische Art in so vielen Belangen helfen zu können, platzt sehr schnell, wenn man Reaktionen hört wie: „seit ich bei dir 5 mal Yoga gemacht habe, sind meine jahrelangen Schlafstörungen weg. Aber für 90 Minuten + Tee + Plaudern + individuelle Betreuung in klitzekleiner 4er-Gruppe will ich nicht mehr als 10€ ausgeben. Für das Geld könnte ich ja auch ins Fitnessstudio gehen…!“ Im gutbürgerlichen Blankenese! Bis ich dann höre, dass es hier Yogalehrer gibt, die für 20€ 90minütige Hausbesuche machen…!

    Irgendetwas passiert gerade mit „dem westlichen Yoga“ durch die vielen neuen und alten Teacher, die vielen kleinen Studios und die große Medienpräsenz. Ich vermute, dass wer weiterhin Yoga unterrichten möchte und damit ein wenig Geld verdienen muss/möchte, auch hier jetzt jeder seine ganz persönliche Nische finden/entwickeln muss und zwar sehr viel differenzierter, als nur mit der klaren Unterscheidung der Yogastilrichtungen. Große Herausforderung!

  • Madhavi Guemoes
    17. Juli 2014 at 10:00

    Ja, das ist das Problem: Eine Yogastunde sollte noch viel teurer sein. Und für die, die es sich überhaupt nicht leisten können: frei. Aber da sind wir leider nicht nicht.

  • Sunny
    19. Juli 2014 at 12:48

    Ahja. Und wenn dem Körper mitten in der Endentspannung nach einem fröhlichen Lied ist, schmettere ich auch lautstarkt los, oder? Ist doch mir egal, dass ich damit die anderen störe.

    Und ja, natürlich kann ich es auch so sehen, dass ich an solchen Leuten lerne. Die, die immer extra laut singen und noch ihr extra Rad schlagen. Aber ganz ehrlich: es nervt einfach!

  • Madhavi Guemoes
    19. Juli 2014 at 21:09

    Recht hast Du!

  • Michaela Pludra
    20. Juli 2014 at 14:28

    Namasté liebe Madhavi,
    seit 10 Jahren habe ich mich von früh bis spät beruflich auf den Yogaweg eingelassen und betreibe ein eigenes Studio. – Du glaubst nicht, wie gut mir gerade Dein sehr treffender Artikel und auch Deine Kommentare dazu aus der Seele sprechen … . 😉

  • Madhavi Guemoes
    20. Juli 2014 at 16:25

    Liebe Michaela, vielen Dank für Deinen lieben Kommentar. Ick freu mir! Grüße, Madhavi

  • Katrin
    26. Juli 2014 at 11:20

    Alles wie im richtigen Leben, oder? Manners are a must. Weiß leider nicht jeder. Alles Gute in der neuen Stadt!

  • Mari Ella
    10. August 2015 at 14:58

    Liebe Madhavi,
    ich bin durch Zufall auf diesen etwas älteren Artikel von dir gestoßen. Auch ich ärgere mich hin und wieder mal über Teilnehmer/innen, z.B. wenn sie zu spät kommen und dann auch noch ihre Yogamatte laut durch den ganzen Raum schleifen… Aber alles in allem liebe ich meinen Beruf und ich denke nicht, dass wir Yogalehrer/innen zu einer Berufsgruppe gehören, die bemitleidet werden braucht…

    Ich möchte nicht mit Leuten tauschen, die irgendwo an der Kasse sitzen oder in der Gastronomie tätig sind. Meine Mutter arbeitet z.B. in der Gastro und ich weiß, dass sie für weniger Geld sehr viel mehr arbeiten muss als ich. Aber auch mit Büro-Mitarbeitern möchte ich nicht tauschen: Da hat mir gerade erst mein Mann nach einem Yogakurs gesagt, wie gut ich das habe, dass die Leute zu mir kommen, um mir zu sagen, wie gerne sie in meine Stunden gehen… Bei ihm in der IT kommen die Leute halt immer nur wenn etwas nicht funktioniert. Aber dass die IT System von 365 Tagen ca. 364 Tage störungsfrei laufen, will keiner positiv bemerken… Und ähnlich geht´s auch Mitarbeitern einer Versicherung, in der ich Betriebssportgruppen leite. Genau daran versuche ich zu denken, wenn ich wieder anfange, mich z.B. über die Zuspätkommer zu ärgern oder ich spreche so etwas auch mal an… 😉

    Und das hast du ja letztlich auch gemacht und das finde ich super. Denn beim Yoga geht´s ja nicht darum jede Asana perfekt zu beherrschen sondern (für mich) vor allem auch um die Rücksichtnahme und den Respekt gegenüber anderen…

    Danke für den Artikel!