Seelenfutter

Let’s talk about // Spirituelle Einsamkeit

25. April 2018
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Vor ein paar Monaten saß ich auf einer Geburtstagsfeier, als mich eine Heilerin und Yogalehrerin, die ich sehr schätze, darum bat, doch mal über spirituelle Einsamkeit zu schreiben. Sie würde sich nämlich sehr oft einsam fühlen, erzählte sie mir, obwohl sie ihre Arbeit über alles lieben und sicherlich niemand ahnen würde, wie es ihr manchmal ergeht. Auch ich hätte sie gar nicht so eingeschätzt. 

Ich konnte sie so gut verstehen, denn auch ich kenne das Gefühl gut. Als ich vor ein paar Jahren noch als  Yogalehrerin in Hamburg arbeitete, befand ich mich häufiger in so einem Zustand. Manchmal verkroch ich mich stundenlang unter meiner Bettdecke und dachte, ich kann mit niemanden über meine Befindlichkeiten sprechen. Ich bin ganz allein.

Niemandem wollte ich so recht mein Herz ausschütten, wenn ich an mir zweifelte oder andere Probleme hatte. Alle meine „Freunde“ waren Yogalehrerinnen, arbeiteten in einem ähnlichen Bereich oder kamen als Schülerin in meine Yogaklassen. Bloß keine Schwäche zeigen lautete die Devise. 

Da es zu der Zeit schon YogalehrerInnen wie Sand am Meer gab, waren alle nur darauf aus, die meisten Yogastunden zu den besten Zeiten zu ergattern, ihre Teilnehmerzahlen zu vergleichen, die Workshops oder YogalehrerInnen-Ausbildungen vollzustopfen oder Deals als Werbebotschafter für Yogabüxen einzutüten. Ein täglicher Kampf.

Der tägliche Druck

Natürlich war auch große Anspannung da, wenn eine Yogaklasse nicht gleich von der ersten Stunde an bumsvoll war. Die YogastudiobesitzerInnen saßen den LehrerInnen da blitzschnell im Nacken und drohten, sie auszuwechseln, sollte es sich nicht flink ändern.

Von LehrerInnen, die in spirituellen Bereichen arbeiten, wird oft erwartet, dass sie Antworten auf alle Lebensfragen haben. Sie müssen immer bombastische Laune versprühen, dürfen nie krank werden, keine Pickel im Gesicht haben, nicht an sich zweifeln und schon gar keinen schlechten Tag haben. Sie werden scharf beobachtet und jede abweichende Handlung, die vielleicht „unyogisch“ erscheint, wird als Schwäche oder Boshaftigkeit abgetan.

Wir sind alle auf dem Weg

Es ist wichtig, dass LehrerInnen in spirituellen Bereichen aufhören, unantastbar scheinen zu wollen. Niemand ist rund um die Uhr fröhlich, inspiriert oder frei von Sorgen. Niemand. Alle sind auf dem Weg, wohin auch immer. 

Die Rolle der stets Erhabenen ist auf Dauer nicht haltbar und ungesund. Sich auch in Verletzlichkeit und Angst zeigen zu dürfen, ohne das Gefühl zu haben, dass einen ein Strick daraus gedreht wird, muss normal werden. Vieles ist einfach nur Fassade und Schutz, verständlich. 

Wer im spirituellen Bereich seine Brötchen verdient (oder ähnliche Tätigkeiten ausübt), kann sich auch schnell leer und allein fühlen, weil immer nur gegeben und die Batterien selten aufgeladen werden. Ich sehe es hier in Berlin, da hetzen die meisten YogalehrerInnen von einem Yogastudio zum nächsten und verdienen einen Witz. Dabei ist die Arbeit, die sie tagtäglich erledigen, so wertvoll. Für die eigene Regeneration und Yogapraxis, die durchaus wichtig ist, um andere zu inspirieren, bleibt kaum Zeit. Der Druck ist zu groß.

Die spirituelle Praxis kann einen auch in die eigenen Abgründe katapultieren. Man kommt ab und zu an Punkte, die schmerzhaft sind. Wenn man als SchülerIn ständig von LehrerInnen vorgegaukelt bekommt, dass die spirituelle Praxis so spaßig ist wie ein Handstand am Strand von Bali, traut man sich sicher auch nicht, über die eigenen Erfahrungen zu berichten, weil man denkt, dass mit einem irgendwas nicht stimmt.

In einer Welt, in der man miteinander vernetzt ist wie niemals zuvor, scheinen sich trotzdem mehr und mehr Menschen einsam und allein zu fühlen. Vielleicht weil alle auf gute Laune machen, obwohl ihnen eher zum Heulen zumute ist?

Man sollte sich öfter die Hand reichen, sich trauen, aus der Seele zu sprechen. Sich wahrhaftig miteinander verbinden.

Der erste kluge Schritt ist vielleicht, einer Person zu erzählen, wie man sich wirklich fühlt, was einen wirklich beschäftigt. Weniger Oberflächlichkeit, mehr Tiefe und Echtheit. Das berührt und nimmt oft die Last von den Schultern.

#staytrue

Madhavi

© Lena Fingerle

Madhavi Guemoes
Madhavi Guemoes dachte mit 15, dass sie das Leben vollständig verstanden habe, um 31 Jahre später zu erkennen, dass dies schier unmöglich ist. Sie arbeitet als freie Autorin, Aromatherapeutin, Podcasterin, Bloggerin und Kundalini Yogalehrerin weltweit und ist Mutter von zwei Kindern. Madhavi praktiziert seit mehr als 30 Jahren Yoga - was aber in Wirklichkeit nichts zu bedeuten hat.
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