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„Die Sache mit dem Karma“ – Ein Reisebericht von Ava Carstens

29. Juni 2015
Karma

Bevor ich übers Wellenreiten, Zeigefinger und Daumen auf die Matte pressen, Quinoa-Curry und alleinreisende Frauen berichte, muss ich einmal flott abschweifen. Es fällt doch stark auf, wie häufig der Begriff „Karma“ im unterschiedlichsten Kontext, manchmal gar ohne Sinn und Verstand, Verwendung findet. Wir alle kennen diese Sache mit dem Karma – was du gibst, bekommst du auch zurück. Aber wie genau funktioniert das? Gut wird besser, schlecht wird schlechter?!

Klar, gutes und schlechtes Tun, Denken und Handeln ist subjektiv. Und wer ungeduldig ist fordert die Auswirkung seines Karmas sofort und am besten im selben Werteverhältnis. Wer eher gelassen ist folgt dem Prinzip: Kommt Zeit, kommt Rat. Für die meisten positiv konnontiert, meint Karma eigentlich, dass sich unsere Taten auf uns und unser Umfeld auswirken – noch völlig wertungsfrei. Nichts Neues: Kennen wir aus dem Kontext von Ursache und Wirkung. Oder von Dominosteinen. Ob du es nun schön findest, dass all die Steine umpurzeln, fast wie von Zauberhand oder du dich in dem Moment bereits darüber ärgerst, dass du sie später alle wieder aufstellen musst, liegt ganz allein bei dir. So also soll meine Geschichte beginnen, mit dem wohl am meist gefallen Satz meiner zweiwöchigen Reise „Go with the flow.“ Oder auch: „Keep calm and let Karma finish it.“

Beinahe Retreat-erfahren, ich war bereits zweimal auf Fuerteventura Wellenreiten und Yoga praktizieren, war es jetzt an der Zeit ein neues Reiseziel zu wählen. Simple habe ich nach den besten Surf & Yoga Retreats in Europa gegoogelt, fast immer mit dabei und hoch gelobt, das Karma Surf Retreat in Portugal. Die Website studiert, Videos angeschaut, das Karma als gut empfunden und entschieden: Da will ich hin!

Meine erste Adresse lautet: Die Surf Villa in Guincho, direkt bei Cascais und nicht weit von Lissabon. Wenn’s mir gefällt dann werde ich bestimmt auch den zweiten Ableger vom Karma Surf an der Algarve austesten, so meine Worte an Jens und Timo, die zwei Köpfe hinter ihrer „kleinen Oase der Entspannung“.

Die Fotos und Beschreibungen versprechen viel: „Wir bieten Surf-und Yoga Urlaub in kleinen Gruppen, die in einer luxuriösen, stylischen Villa in einer friedlichen und ruhigen Umgebung mit einem atemberaubenden Meerblick und Pool untergebracht sind, umgeben von einzigartiger Natur eines Naturreservats. Ein fantastisches Erlebnis!“

Ein fantastisches Erlebnis war es definitiv, so viel schon mal vorweg. Der Meerblick (bei gutem Wetter) und die wunderschöne Flora der Umgebung und auf dem Grundstück, die Nähe zum Wald – ein Traum. Hier ist Platz zum Atmen, Laufen, Wandern oder einfach zum Rumhängen in einer der vielen Hängematten, Sessel und Sitzkissen. Als luxuriös und stylisch habe ich das Haus jetzt nicht empfunden, aber als sehr schön, gepflegt und familiär. Im Vergleich zu gewöhnlichen Surf Camps – ja, definitiv! Nicht aber zu anderen Hotels, Häusern oder Villen. Da bin ich ganz ehrlich.

Karma

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Karma

Häufig begegnet man der talentierten Traumfänger- und Schmuckbastlerin singend beim Schnippeln, Fegen oder Wäschewaschen in der Küche. Jessica ist der Inbegriff “der guten Seele des Hauses”. Mit ihrem strahlenden aufgeweckten Wesen kümmert sie sich um das Wohlergehen der Gäste. Vom Haut- bis zum Seelenpflaster. Sie nimmt die Sorgen und Nöte der Retreatler ernst. Ebenso innig und emphatisch wird sich auch über jedes schöne Ereignis mitgefreut. Keine Frage ist ihr zu doof, auch solche nicht, die sie schon über 1.000 mal beantwortet hat. Sie erklärt alles täglich, wöchentlich immer wieder gelassen aufs Neue. Taxi-Nummern, Mülltrennung, Supermarkt, Restaurants, wie finde ich dieses und wo gibt es jenes?!

Das Haus ist nicht nur durch sein Erscheinungsbild ein Ort zum Wohlfühlen und Entspannen, sondern und vor allem wegen der Menschen, die hier arbeiten und leben – selbstverständlich mit inbegriffen die beiden Gründer Jens und Timo, ebenso ihre Familien. Die persönliche warme Atmosphäre lässt “Montana” schnell zu deinem Zuhause werden.

Zweimal Yoga pro Tag, dazwischen Surfen. Taffes Programm, aber genau das habe ich gewollt und mir seit meiner letzten Reise ersehnt. Und so klingelt der Wecker jeden Morgen schon früh, jedenfalls früh genug, um um 8 Uhr, sprich noch vor dem Frühstück, mit der ersten Yoga Session loszulegen. Nicht jeder Tag beginnt mit Yoga, manchmal zieht es mich in den nahegelegenen Wald zum Laufen. Eine Strecke die es in sich hat: Den asphaltierten Weg, im Slalom, immer den Berg hinauf.

Der steile Anstieg fordert Quardriceps und Waden ordentlich heraus. Oben angekommen genieße ich den Weitblick über die Dörfer und Felder bis zur Küste. Hier stellt sich schnell das Gefühl ein: Die ganze Anstrengung hat sich gelohnt. Noch einmal tief durchatmen und dann geht es auf der anderen Seite über Sand, Schotter und Lehm nicht weniger steil wieder herunter. Abwechslung und das mal-ganz-für-mich-alleine-sein tut gut. Denn so ganz für sich ist man hier selten. Wer bei einem Yoga & Surf Camp an eine angenehm ausgeglichene männlich-weiblich Stimmung denkt, den muss ich enttäuschen. Es sind häufig 90 % Frauen und 10 % Männer. In der zweiten Woche waren es sogar 100 % weibliche Gäste. Frauen auf der Suche nach sich und ihrer inneren Ruhe können bei Zeiten sehr herausfordernd sein. Jedenfalls für mich. Auch hier gilt: Take a deep inhale and a long exhale.

Nach dem Laufen oder Yoga wird sich gemeinsam über das vorzügliche, gesunde, kräftigende, home-made Frühstücksbuffet her gemacht. Gegen 10 Uhr geht es dann in den kleinen Gruppen los: Surfen, Klettern oder Stand Up Paddling, je nach dem was gebucht und gewünscht ist. Am Nachmittag, manchmal auch am frühen Abend finden sich alle wieder auf der Matte zur zweiten Runde Yoga zusammen. Kochen oder Essen gehen stehen als nächstes auf dem Programm, denn der Körper sendet deutliche Signale: Nahrungsaufnahme ist erwünscht und zwar jetzt sofort!

Vielleicht noch eine Seite lesen, das war’s. Jedenfalls meistens, denn das viele Erleben und Verausgaben macht unsagbar müde. Du willst ambitioniert Trinken, Feiern oder sonst was tun? Vergiss es! Der nächste Tag holt dich schneller auf den Boden der Tatsachen zurück als dir lieb ist. Ok, Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber sonst heißt es: Yoga, surf, eat, sleep and repeat.

Der Bewegungsdrang ist am Abend definitiv gestillt und kein Schlaf ist schöner und erholsamer als der nach körperlicher Ertüchtigung und einer ordentlichen Portion Natur-Erlebnis. Ich werde häufig gefragt, warum ich mir zum Entspannen einen Aktiv-Urlaub wähle. Ganz einfach: Mehr in den Körper eintauchen und aus dem Kopf rausgehen, das beruhigt die Gedanken und macht glücklich.

Noch mehr als jegliches Nichtstun. Am Strand sind die meisten dann doch damit beschäftigt sich über den Sand zu ärgern, der jetzt dank Sonnencreme überall klebt. Oder sich Gedanken darüber zu machen, was es später zu Essen gibt, ob es Zeit wäre sich jetzt umzudrehen und ob drei Bücher durchlesen zu wollen doch etwas ambitioniert sei. Dabei vergessen wir bzw. ich gerne im Moment zu sein. Aber genau das ermöglicht mir meine Yoga Praxis, ebenso und wenn nicht noch mehr, das Surfen.

Yoga ist nicht gleich Yoga

Auf unsere Matten steigen wir abseits, umringt von Bäumen und Aloe Vera Pflanzen, mit Sonne im Gesicht und dem Blick runter bis zur Giuncho Bucht. Der Yogaraum, besser die schöne Holz-Glas-Kutir ist – ich spare mir die Aneinanderreihung positiver Adjektive und lasse die Bilder für sich sprechen.

Bei Karma Surf kommt man mit mindestens zwei unterschiedlichen Yoga Stilen und so auch Lehrern in Kontakt: Ashtanga und Iyengar, Silvia und Annett. Und das meist im täglichen Wechsel. Mir gefällt die unterschiedliche Herangehensweise an unseren Bewegungsapparat, dass Yoga nicht gleich Yoga ist, dass sich die eigene Praxis immer wieder verändert und neue ungeahnte Formen annimmt.

Yoga

Yoga

Karma

Ich habe mich selbst dabei ertappt aus Bequemlichkeit und Gewohnheit zunächst ausschließlich die Ashtanga Flow-Klassen zu genießen. Klar, hier fühle ich mich besonders aufgehoben, das ist mein vertrautes Terrain. Mehr und mehr fing ich an den Iyengar Stil zu verstehen, mich diesem gegenüber zu öffnen und ihn zu mögen. Da ich eine umfangreiche Pilatesausbildung gemacht habe, gefällt mir hierbei das anatomische Betrachten des Körpers, das genaue Ausführen der Bewegungen und die physiologisch korrekte Ausrichtung in jeder einzelnen Asana. Meiner Gewohnheit zum trotz, gehe ich dem Bedürfnis nach, mich beim ungenauen Arbeiten á la wischi-waschi durchs Vinyasa huschen erwischen zu lassen und fange an das herausfordernde muskuläre Arbeiten zu genießen.

In zwei so unterschiedliche Stile einzutauchen und ebenso noch meine eigene Praxis im Flow zu behalten ist großartig und zugleich ätzend. Zunächst wollen die Muskeln, der Atem und besonders der Kopf streiken. Ich nenne es immer ganz ungeniert: “Mind Fuck.” Ist dieser Zustand aber überstanden, tut sich eine ungewohnte Leichtigkeit auf. Beinahe kann ich schweben. Manchmal ist es eben gut mehr zu machen und weniger zu denken. Ich glaube diese Art der persönlichen Yoga-Challenge kennt jeder der häufig praktiziert und oder auch unterrichtet. Sich wahrhaftig auf einen anderen Stil und Lehrer einzulassen, obwohl die Klasse sich zu beginn, weder im Kopf, noch im Körper, gut anfühlt.

Surfen bei jeder Wetterlage

Beim Surfen ist das anders für mich. Da bin ich nicht der Pro. Klar, habe ich auch dort meine Ansprüche und Vorstellungen. Kann aber aus mangelnder Erfahrung den Unterricht nur mit den Erlebnissen auf Fuerteventura vergleichen, die großartig waren. Portugal hat es also nicht leicht. Und doch bin ich begeistert von jedem Tag, den ich hier im Wasser verbringe. Täglich werden wir von Alex, dem Besitzer der Moana Surf School, abgeholt. Wenn die Bedingungen stimmen, bleiben wir an der schönen Guincho Bucht. Wenn nicht, fahren wir an einen anderen Spot. So muss das sein. Surfen, auch wenn das Wetter mal so richtig ätzend ist. Was soll’s?! Im Neo macht Regen eh nichts aus. Und trotzdem bin ich froh kleine Sommervariante gewählt zu haben. Ich friere und das fast immer. In meinem Neon-4/3 allerdings nicht und übersehen tut mich auch niemand.

Karma

Jeden Tag etwas Neues lernen. Oder jedenfalls danach fragen und es sich einfordern. Ich bewundere die Ruhe der Surflehrer, wenn Woche für Woche die absoluten Anfänger planlos ins Wasser steuern. Die Meerjung und -frauen oder Schildkröten – je nach Bewegleichkeit und Statur, werden stets zum Aufstehen motiviert. Egal wie, es geht mehr ums Versuchen als ums Können, jedenfalls so ganz zu Beginn. Die Surflehrer applaudieren und jubeln bei jedem noch so verqueeren Take-Off. Sie alle haben meinen größten Respekt.

Karma

Hier am Guincho geht es für die meisten Anfänger schnell, sie haben kleine Erfolge und stehen immerhin nach kurzer Zeit auf dem Board. Und darum geht es hier in erster Linie: Spaß haben im Weißwasser. Wer aber mehr will und kann, muss auch nach mehr fragen. Kein Problem: “Ich will rauspaddeln.” – “Machen wir.” Privatstunden und zusätzliche Sessions, alleine oder mit der Gruppe, machen die Reise für mich komplett. Ebenso meinen Samstags-Surf-Ausflug mit Jens und Markus (der einzige männliche Gast – juhu!). Bestes Wetter, tolle Bedingungen, kleine Ava-Wellen – free surfing with the boyz.

Karma

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Am Guincho bin ich meine häufigsten grünen Wellen gesurft und meine längste Welle geritten. Es muss also sein, meine Ode an die portugiesischen Wellen:

Ihr seid toll, habt mir Adrenalin und Glückseligkeit geschenkt, mich getragen und umwogen, mir neue Grenzen aufgezeigt, mich mit- und umgerissen. Ich bin verliebt und will noch mehr!

Essen – Extrawürste ohne Ende

Nicht weniger wichtig und doch in der Hierarchie meines Reiseberichts hinten angestellt: Die tägliche Versorgung. Bei Karma Surf ist jeder Gast, egal mit welchen Allergien, Zimperlich- und Unverträglichkeiten, willkommen und erhält die gewünschte Extrawurst. Die Speisen sind köstlich, zudem gesund und ausgewählt.

Vom Frühstück mit frischen Säften, Porridge in jeglicher Kombination, Obstsalat, Avocado, Käse, selbstgebackenem Brot und und und, bis zum Luchpaket, dass jeden Tag unterschiedlich, ausgewogen und immer rein vegetarisch ist. Meine absoluten Favoriten: Quinoa-Curry mit Gemüse und Cashew Kernen, ebenso der Rotebeete-Möhren-Salat mit Sesam.

Karma

Jeden Mittwoch ist Lunch-Tag. Da wird mit allen zusammen an der langen Tafel gespeist und getrunken. Es gibt Fisch bzw. Meeresfrüchte in verschiedenen Variationen. Dass ich und andere Fischverschmäher selbstverständlich schmackhafte vegetarische Gerichte kredenzt bekommen, muss man eigentlich gar nicht erwähnen. Ab 14 Uhr wird gefühlt nur noch gegessen und Vino Verde getrunken. Glücklich und zufrieden rollen wir auf die Terrasse.

Mein Fazit – Eins werden mit der Natur. Ein ebenso häufig verwendeter Satz, wie der Karma-Kram.

Nein, weder beim Surfen noch beim Yoga werde ich eins mit der Natur. Das würde für mich bedeuten, auf Augehöhe zu sein. Aber das sind wir nicht. Rein physikalisch gibt es dort schon erhebliche Unterschiede. Zumal ich weder eine Welle bezwingen will und kann, noch nach der Erleuchtung auf der Suche bin. Was so eine Reise allerdings mit sich bringt, ist das erneute reflektierte Betrachten von dir im Bezug auf deine Umwelt. Dein Verhalten und Wirken zu und mit anderen. Es ist eine Chance dich zu erinnern, die Natur in ihrem Ganzen zu respektieren (falls du es mal vergessen haben solltest), die eigenen Grenzen auszutesten und –zuloten, dich in Geduld zu üben oder ganz simple: Einfach mal die Klappe zu halten. „Keep calm and Hakuna Matata!“

Mehr über Ava Carstens erfährst du hier.

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