Vorgestern wurde mein Sohn 12 Jahre alt. Er ist einen Kopf größer als ich, sehr einfühlsam und wird mir einfach zu schnell erwachsen. Mein erstes Kind. Mein zweites, ein Mädchen, wird im Januar 10. Die Zeit rast. Ich genieße jede Minute, die ich mit den beiden verbringe, es ist wie mit guten Freunden.
Als ich mit meinem Sohn schwanger wurde, war mir sofort klar, dass ich das Kind niemals in einem Krankenhaus zur Welt bringen würde. Auch nicht im Geburtshaus. Eine Hausgeburt sollte es werden. Ich hatte die letzten Jahre so oft im Krankenhaus verbracht, da ich durch einen Ärztepfusch arge Probleme hatte und mehrmals operiert werden musste. Ich kann Krankenhäuser nicht leiden, sie machen mir Angst. Also suchte ich nach einer fähigen Hebamme für eine Hausgeburt. Ich bekam eine von meiner Freundin empfohlen, mit der ich mich auch gleich bestens verstand.
Sie war eine wahre Hippie-Schönheit, ellenlanges Haar bis zu den Knien und weise wie eine Eule. Sie praktiziert nicht mehr, sonst würde ich sie euch empfehlen. Ich fühlte mich bei ihr sehr gut aufgehoben. Mehrmals kam sie mich während der Schwangerschaft besuchen, horchte meinen Bauch mit einem hölzernen Hörrohr ab und gab wundervolle Ratschläge.
Ich ging auch zweimal zum klassischen Ultraschall. Mein Frauenarzt kannte meine Hebamme und schwärmte in höchsten Tönen von ihr. Das bestärkte mich ungemein, denn das ist auf keinen Fall die Norm, die meisten Frauenärzte raten von einer Hausgeburt ab. Die Schwangerschaft an sich war kein Klacks, mich plagte sieben Monate lang rund um die Uhr Übelkeit. Ich gehöre nicht zu den Frauen, die gern schwanger sind. Dafür finde ich aber Geburten ganz dufte und transformativ.
Ich las ein paar Bücher über natürliche Geburt und Erziehung. Besonders spannend fand ich das Buch Auf der Suche nach dem verlorenen Glück* von Jean Liedloff. Ich nahm an keinem Vorbereitungskurs teil, denn ich glaubte fest daran, dass ich intuitiv schon das richtige tun würde, wenn die Geburt naht. Außerdem wollte ich meine Zeit nicht verschwenden. Ich ging ein paar Mal zum Kundalini Yoga, das half sehr. Die Bücher gaben mir außerdem gute Tipps. In den ersten vier Monaten der Schwangerschaft konnte ich keine Asanas praktizieren, ansonsten hätte ich wohl meine Yogamatte vollgekotzt. Aber meditieren und chanten konnte ich, was ich auch emsig tat, denn damit schaffte ich eine Verbindung zu meinem Kind.
Die romantische Vorstellung einer Hausgeburt
In meiner romantischen Vorstellung wurde mein Sohn im Morgengrauen bei Kerzenlicht und sanften Klängen von Miten und Deva Premal geboren. Anmutig presste ich meinen Sohn ohne jegliche Verletzung im Unterleib aus mir heraus, nahm ihn in den Arm und schlief selig ein.
Natürlich kam es anders. Meine Fruchtblase platzte während ich schlief. Das ganze Bett war klatschnass und als ich aufwachte, wusste ich überhaupt nicht, wo unten und oben ist. Als mich dann die erste gepfefferte Wehe erreichte, wurde mir klar: jetzt geht’s los. Ich rüttelte meinem Mann wach, der dann flink die Hebamme herbeirief.
Das Wohnzimmer wurde rasant für das Massaker präpariert und mit Plastikfolien ausgelegt. Darüber hübsche indische Tücher gelegt, überall Kissen und ein Geburtshocker. Ach ja, ein Zettel für die Nachbarn noch an die Tür gepinnt, damit keiner die Polizei ruft, wenn ich wie ein abgeschlachtetes Schwein klinge.
Als meine Hebamme kam (in Begleitung einer weiteren Hebamme) hing ich in der Hocke an der Heizung. Ich wollte niemanden sehen und vor allem niemanden hören. Alle sollten mich allein lassen. Natürlich musste sie hin und wieder mal checken, ob alles in Ordnung ist aber dann sollte sie mich auch wieder in Ruhe lassen.
Ich war stundenlang allein im Zimmer und gab keinen Mucks von mir. Ganz am Anfang schrie ich bei einer Wehe kurz auf, merkte aber blitzschnell, dass mich das unheimlich viel Kraft kostet und verzichtete den Rest der Geburt darauf.
Aus den sanften yogischen Klängen wurde nichts. Ich brauchte Musik, die ich eigentlich sonst überhaupt nicht höre. Ich hing bei jeder Wehe in der Hocke an der Heizung, ansonsten stand ich oder tanzte. Mir ein Rätsel, wie man ein Kind im liegen bekommen kann. Nach ein paar Stunden sagte meine Hebamme, ich solle mich mal kurz ausruhen und hinlegen. Nach 20 Sekunden sprang ich wieder auf, weil ich die Schmerzen in der liegenden Position einfach nicht aushielt.
Mittlerweile war die Nacht vorbei und es wurde ein strahlend schöner Tag. Stunden vergingen und mein Sohn machte keine Anstalten aus meinem Bauch auszuziehen. Ich wurde ungeduldig und launisch und in die Badewanne gesteckt. Dort hatte ich das Gefühl, den Teufel aus mir auszutreiben. Auch heute, 12 Jahre später spüre ich diesen Schmerz, wenn ich in eine mit warmen Wasser gefüllte Badewanne steige, autsch.
Geburt eines Sternenguckers
Während der Geburt aus hinterer Hinterhauptslage braucht das Köpfchen deutlich mehr Platz als bei einer “normalen” Geburt. Ich stellte mich also nicht an, es war wirklich ein Akt, das Kind durch das Becken zu schieben. Es fühlte sich an wie das Gebären einer Riesenmelone.
Um 14.10 Uhr hatte ich die Schnauze voll und presste mein Kind auf die Welt. 12 Stunden hatte es gedauert. Die Geburt an sich habe ich als ekstatisch wahrgenommen. Dieser Moment, in dem ich hochkonzentriert dem Schmerz entgegengeblickt und mich eingelassen habe, unbezahlbar.
Als ich meinen Sohn das erste Mal im Arm hielt, sah er aus wie einer von den Coneheads. Sein Kopf war total verformt, was ja auch kein Wunder war, nachdem, was er durchgemacht hatte. Auch hatte er eine Lippenspalte, von der ich vorher nichts wusste. Zum Glück war alles gut gegangen, die Hebamme wusste, was zu tun war. Hätte aber auch anders laufen können.
Nadel und Faden
Das allerschlimmste kam danach. Ich war untenherum total eingerissen und musste genäht werden. Da bei einer Hausgeburt aber keine Betäubung erfolgt, wurde ich also ohne Betäubung mit einigen Stichen wieder zusammengeflickt. Ich habe das ganze Haus zusammengeschrien. Noch nie habe ich so einen furchtbaren Schmerz erlitten. Der Knaller: Nach sechs Wochen musste ich zum Frauenarzt, der meinte, es wäre schief zusammengewachsen und müsste noch mal neu geöffnet und genäht werden. Ich blickte ihn mit großen Augen an und sagte nur trocken NEIN. Was eine gescheite Entscheidung war, denn nach der zweiten Geburt war alles wieder dort, wo es hingehörte.
Immer klug wählen
Mein zweites Kind kam im Krankenhaus zur Welt. Sie lag in Beckenendlage. Das war mir nicht ganz geheuer, weshalb ich mich überwand und entschied ins Krankenhaus zu gehen. Dort war ich insgesamt nur zwei Stunden. Ich war vor der Geburt noch beim Yoga und dachte, die Senkwehen sind dieses Mal aber kräftig. Dabei war die Geburt schon längst im Gange. Ich fuhr noch mit dem Rad nach Hause. Zum Glück wohnten wir nur fünf Minuten vom Krankenhaus entfernt, ansonsten hätte ich das Kind wohl auf dem Rücksitz unseres Autos geboren. Die Geburt meiner Tochter lief blitzschnell, unkompliziert und hätte locker auch eine Hausgeburt sein können. Aber das weiß man ja nie vorher.
Hausgeburt ist nicht für jeden geeignet
Es kann immer Komplikationen geben. Ich möchte euch da nichts vormachen. Ich würde niemals eine Hausgeburt wählen, wenn ich nicht das Krankenhaus unmittelbar in der Nähe hätte. Eine Geburt im Geburtshaus ist unter Yogis seit Jahren im Trend, kurz danach kommt die Hausgeburt. Jede Frau sollte gewissenhaft entscheiden, ob sie wirklich dahinter steht.
Jede noch so kleine Furcht oder Unsicherheit bezüglich der Entscheidung kann sich während der Geburt negativ auswirken. Auch sollte sie ihrer Hebamme total vertrauen. Schleicht sich nur ein ungutes Gefühl ein, wird es nicht funktionieren. Eine Freundin von mir hat ihr Kind vor ein paar Jahren während der Hausgeburt verloren. Das ist dramatisch und unheimlich traurig. Aber auch das kann vorkommen.
Ich habe mein zweites Kind im Krankenhaus bekommen und dabei meine Selbstbestimmung nicht verloren. Während der Geburt meiner Tochter wollte mich eine Krankenschwester stören und einen Zugang legen. Ich habe sie leicht angezickt, ihr gesagt, dass sie das sofort lassen soll, das Kind ist doch gleich da. Auch wollte ich nicht, dass 30 Mitarbeiter hinter mir stehen und sehen, wie eine Beckenendlage spontan geboren wird. Denn das scheint wohl eine Attraktion zu sein.
Ich war nur mit dem Arzt und der Hebamme im Raum. Mein Mann durfte beim zweiten Mal auch nicht dabei sein. Mich irritiert das und ich finde, es sollte von Männern auch nicht verlangt werden. Wenn man selbstbestimmt ist, besonders weiß, was man nicht möchte, dann kann man es sich auch während einer Geburt im Krankenhaus ganz nett machen und wird gesehen. Ich war auch schnell wieder draußen, denn so groß war die Liebe dann doch nicht.
Seid ehrlich, wenn ihr eine Hausgeburt plant. Fühlt ihr euch damit wirklich wohl? Habt ihr gute Unterstützung? Letztendlich geht es um das Wohl des Kindes. Die Entscheidung sollte wohlüberlegt sein und nicht nur einem romantischen Klischee entsprechen.
#staytrue
Madhavi
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